So, kommt mal ran hier! In jedes Glas müssten eigentlich zwei oder drei Lichter nebeneinander passen. Hier, Streichhölzer habe ich auch …
BADER Weihnachtsgeschichte Teil 1
Wenig später standen sie mit ihren nun leuchtenden Lampen vor dem Eingang ihres dunklen Hochhauses. Es war ungewöhnlich warm für Ende Dezember. Früher am Abend hatte es geregnet, aber inzwischen hatten sich die dichten Wolken verzogen.
„Und wohin jetzt“, fragte Leon?
„Richtung Stadt, oder?“, sagte Tommi.
Gerade, als sie auf die Straße treten wollten, kamen ihnen Herr Bukowski aus dem 1. Stock mit seiner alten Golden Retriever-Hündin entgegen. Die war mit einem leuchtenden Halsband und einer zusätzlichen leuchtenden Girlande um den Hals unterwegs und daher weithin gut sichtbar.
„N’Abend“, nickte Tommi.
„Na, Männer, wohin?“
„Wir wollten auf eine Weihnachtswanderung gehen … weil, ist ja eh alles dunkel und wir dachten …“
„Ja, kann man da mitgehen?“, unterbrach Herr Bukowski sie. „Fernsehen ist ja heute Abend eh nicht.“
„Okay, … ja warum nicht“, sagte Ben. „… wollen Sie auch eine Lampe?“
„Brauche ich nicht, meine Tammy leuchtet wie ein Weihnachtsbaum“, Herr Bukowski lachte heiser.
„Na, dann los“, rief Tommi.
Der inzwischen schon fast zwei Stunden andauernde Blackout hatte wohl dafür gesorgt, dass der ohnehin schon spärliche Verkehr, der sonst an Heiligabend herrschte, dieses Jahr komplett ausgefallen war. Daher gingen sie auf der Straße.
Vor ihnen im Dunkeln tauchte plötzlich ein keuchender Mann im bunten Trainingsanzug auf. Er stand vornüber gebeugt und stemmte die Hände auf die Oberschenkel.
„Alles okay?“, fragte Ben.
„Ja, alles gut …“, keuchte der Mann und leuchtete ihnen mit seiner Stirnlampe entgegen, „bin nur … etwas … aus der Puste. Hab’ mich … verschätzt mit der Strecke … kann jetzt nicht mehr … und habe noch ein Stück bis nach Hause v-vor mir ….“
„Wollen Sie ein Stück mit uns gehen?“
„Was macht ihr denn?“
„Nichts, nur ein Weihnachtsspaziergang. … und wenn das eh auf Ihrem Weg liegt …“
„Warum nicht … habt … habt ihr was zu trinken?“
„Nur Bier.“
„Geht auch“, antwortete der Freizeitsportler und ließ sich dankbar lächelnd von Tommi ein Bier reichen.
„Na, dann Prost!“ Sie stießen an. Auch Herr Bukowski ließ sich auch zu einem Bier überreden.
Gerade als sie weitergehen wollten, hörten sie hinter sich ein Zischen:
„Psst … psst, Jungs! Wartet mal …“
„Ach, Frau und Herr …“
„Grujic?“
„Ja.“
„Was machen Sie hier draußen im Dunkeln?“
„Die Kleine wollte nicht schlafen …“, deutete Frau Grujic auf den Kinderwagen. „Und draußen unterwegs zu sein, hilft meistens.“ Zufrieden nickend schaute sie ihre Tochter an. „Außerdem wussten wir ja, dass wir nicht allein unterwegs wären. Wohin geht ihr denn?“
„Vielleicht Richtung Fußgängerbrücke in der Altstadt?“, schlug Ben vor.
„Gern, solange wir laufen, schläft sie eher.“
„Habt ihr Bier?“, fragte Herr Grujic hoffnungsfroh. Tommi öffnete ihm eins.
„Aber nur das eine! Ich brauche dich morgen in einem Stück, wenn wir zu meinen Eltern fahren“, schärfte ihm seine Frau ein.
„Ja, ist doch klar“, grinste Herr Grujic zufrieden.
Und alle setzten ihren Weg fort.
*
„Spielt ihr Weihnachtslieder, Männer?“, das war Herr Bukowski.
„Weihnachtslieder?“, fragte Ben und schaute auf den tragbaren Lautsprecher in seiner Hand.
„Ja, warum nicht? Zu einer Weihnachtswanderung gehören doch auch Weihnachtslieder. Ich hätte da schon ein paar Wünsche …“
„Ja, ja mal sehen … vielleicht finde ich ja eine passende Playlist …“
Kurze Zeit später bewegte sich die kleine Gesellschaft zu einer modernen Vertonung von „Stille Nacht“ in Richtung der dunklen Altstadt weiter. Die drei Weihnachtsmuffel sahen sich ratlos an, zuckten aber nur die Schultern und ließen es geschehen …
Tommi sah den Mann zuerst. Er lag vor der Bank, auf der seine Sachen lagen – und zwar mit dem Gesicht auf dem nasskalten Asphalt. „Du, Leon, da liegt einer!“ Auch Ben sah den Mann jetzt.
„Hey! Hey, Sie! Alles in Ordnung?“ Aber der Mann rührte sich nicht. Ben kniete sich neben seinen Kopf und sah, dass sein Gesicht blutverschmiert war. „Hallo! Hallo! Aufwachen!“, rief Ben. „Kommt mal alle her! Der hier braucht Hilfe. Er ist verletzt!“ Er rüttelte den Mann an den Schultern. „Aufwachen! … können Sie mich hören?“
Da schlug der Obdachlose die Augen auf und blickte verstört in die vielen besorgten Gesichter. „Wer seid ihr? … was … was macht ihr hier?“
„Wir feiern Weihnachten“, sagte Tommi.
„Ach so“, machte der Mann. Er blutete aus einer Platzwunde an der Stirn.
„Und Sie, Sie bluten. Sie brauchen Hilfe!“
Der Mann sagte nichts. Er war noch benommen.
„Hier um die Ecke ist doch das Herz-Jesu-Krankenhaus“, wusste Frau Grujic. Dann reichte sie etwas aus dem Kinderwagen nach vorn.
„Was ist das?“, fragte Ben.
„Ein Streifen von einer Wickelunterlage. Damit können wir ihn notdürftig verbinden, bis er im Krankenhaus behandelt werden kann.“
„Ist doch aber nicht nötig …“, entgegnete der Mann, der sich inzwischen aufgesetzt hatte.
„Nichts da!“, sagte Ben. „Ihre Wunde muss versorgt werden … können Sie aufstehen und laufen?“
Anstelle einer Antwort befühlte der Mann seine Stirn. Dann schaute er auf das Blut an seinen Fingern und ließ sich wortlos verbinden.
Ben und Tommi halfen ihm auf die Beine. Der Mann hatte große Schmerzen. Ihm fiel das Gehen schwer.
„Habt ihr Bier?“, fragte er.
„Nee, sorry! … erstmal ins Krankenhaus. Jemand muss sich um Sie kümmern“, antwortete Tommi.
„Is’ ja gut“, sagte der Mann. „ich komm ja mit.“ Und dann, nach einer Pause: „… aber schöne Musik habt ihr. Gefällt mir.“
Schon von Weitem sah die jetzt deutlich stillere Weihnachts-Gesellschaft das Herz-Jesu-Krankenhaus, das in der komplett dunklen Umgebung aussah wie ein UFO, das auf einer finsteren Erde gelandet war. Die Notstromgeneratoren im Keller machten es möglich.
„Kommen Sie“, meinte Ben zu dem schwankenden Mann, „wir haben es gleich geschafft.“
Die drei Freunde steuerten mit ihrem verletzten Begleiter die Notaufnahme an und warteten geduldig, bis sich jemand des Gestürzten annahm. Der war in Helligkeit und Wärme und in der Gewissheit, dass sich jemand um ihn kümmerte, schon wieder recht munter. Als er sich in einem Untersuchungsraum auf eine Trage setzen durfte und die Freunde sich von ihm verabschiedeten, rief er ihnen nach: „Ihr schuldet mir noch ein Bier, Jungs … nee, nur Spaß. Frohe Weihnachten euch!“
„Alles Gute!“, sagte Leon.
*
Draußen trafen die drei Weihnachtsmuffel wieder mit ihrer kleinen Wandergesellschaft zusammen.
„Wohin gehen wir denn jetzt?“, fragte Herr Grujic.
„Nach Hause“, gab seine Frau zurück und ihr Mann legte seinen Arm um sie.
Nachdem sich alle verabschiedet hatten, zerstreute sich die Gesellschaft. Ben, Leon und Tommi blieben zurück. Sie saßen auf einer Mauer gegenüber dem Eingang zur Notaufnahme.
„Gehen wir auch?“, fragte Leon?
„Hm, weiß nicht …“, machte Tommi.
„Jetzt können wir auch genauso gut noch hier sitzen bleiben und Musik hören.“ Aus dem Lautsprecher erklang ein leiser Kinderchor, der „O du fröhliche“ sang. „Der gute Mann muss ja auch irgendwann wieder rauskommen und dann begleiten wir ihn irgendwohin, wo er es warm hat und er heute Nacht nicht allein ist.“
„Okay“, sagte Leon.
„Frohe Weihnachten, Männer!“, das war Tommi.
„Ja, is’ klar“, sagte Ben.
Die drei Freunde sahen sich an und grinsten.
– E N D E –


